Mein Weg zu mehr Gelassenheit

Jennifer Holst • 1. Juli 2021
"Du bist doch in der Ausbildung zum Hundetrainer, dann ist die Erziehung Deines Hundes doch ein Klacks".
So oder so ähnlich klingt es immer wieder mal, wenn man in einem Gespräch mit seinen Mitmenschen über die Hundeerziehung spricht.
Aber die Erziehung des eigenen Hundes und die Lerntheorie in der Ausbildung selbst sind 2 Paar Schuh. Nicht zuletzt, weil wir mit einem Lebewesen zusammenarbeiten und die emotionale Komponente eine große Rolle spielt.
Mein Start in die Hundehaltung war alles andere als ein Klacks und ich habe mit einigen Hindernissen gekämpft, die ich mir selbst in den Weg gestellt habe.

Der Wunsch alles richtig machen zu wollen

April 2020 kam der erste Hund in unser Haus, Leben und unsere Herzen. Natürlich habe ich im Vorfeld viele Sendungen geschaut und entsprechende Literatur gelesen. Es ist wie nach der Geburt eines eigenen Kindes: Was es wirklich bedeutet, weiß man erst, wenn es da ist. Und wie beim ersten Kind hat man beim ersten Hund mit Unsicherheiten und ganz vielen „Expertenmeinungen“ zu kämpfen.
Und dann ist daneben dem ungewohnten Alltag auch noch die Fremdsprache „Hund“, die es zu entschlüsseln und richtig einzuschätzen gilt.
In den ersten Wochen gab es Höhen und Tiefen, nicht selten habe ich an mir gezweifelt und hier und ein paar Tränen vergossen. Meine Züchterin hat mir in der Zeit Gott sei Dank mit viel Geduld zur Seite gestanden.
Ich war darauf bedacht alles richtigzumachen, schaute rechts und links, was andere Welpen/ Hunde in dem Alter bereits konnten, wollte möglichst viel in die prägende Phase einfließen lassen, um einen Vorzeigehund zu bekommen.

Hundeschule top –Alltag & Dummytraining Flop?

In den Trainingsstunden der Hundeschule waren wir immer Vorzeigeschüler. Natürlich schmeichelt das und bestätigt einen als Hundehalter (ja Hundehalter, denn ein Hundeführer war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht).
Aber in der Hundeschule ist man nur einen Bruchteil der Zeit und das, was der Hund auf dem Platz zeigt, ist eine ganz andere Sache als das, was im alltäglichen Umfeld stattfindet.
Ich hatte auf Spaziergängen wenig Vertrauen in meinen Hund und er auch nicht in mich.
Meine unbewusste Körpersprache und Unsicherheit konnten dem Hund keine Sicherheit bieten, vor allem nicht mit dem Eintritt in die Geschlechtsreife.
Sein Verhalten als Antwort auf mein Problem führte bei mir zu Frust, und noch mehr Unsicherheit und Selbstzweifel.
Mit dieser Voraussetzung konnte ich dem Hund nicht die Souveränität bieten, die er so dringend brauchte, denn gerade in der Pubertät erleben Hunde nochmals ein Wechselbad der Gefühle und schwanken zwischen selbstbewusst und ängstlich.

Das Resultat dieser Spirale zeigte sich in seiner vollen Bandbreite auch beim Dummytraining. Dort hatte ich mit gefühlten Übersprungshandlungen und einer Art Arbeitsverweigerung zu kämpfen. Es gab sehr gut laufende Trainings, aber diese wechselten mitunter mit gefühlten Vollkatastrophen.
Aus heutiger Sicht weiß ich, dass das Verhalten mit mangelndem Training im Grundgehorsam und zu wenig klarer Körpersprache und Kommunikation gegenüber dem Hund zu tun hatte, was ich nicht erkannt und teilweise mit falschen Reaktionen gefördert habe.

Und obwohl mir beide Trainer immer wieder ans Herz legten, nicht zu viel Dummytraining zu machen, mehr Grundgehorsam und Standruhe, weniger verbissen zu sein, mehr auf Körpersprache zu achten, mehr Selbstvertrauen zu haben und vor allem mehr Spaß und Gelassenheit mitzubringen, konnte ich diese doch so einfach klingenden Ratschläge lange Zeit nicht umsetzen.
Letztendlich hat meine Dummytrainerin am Ende einer Trainingseinheit Tacheles geredet und mir klargemacht, dass nur ein Umdenken zu dem Ergebnis führt, dass ich mir wünsche. Sie stellte damit meine Kompetenz auf indirekte Weise in Frage, was mich als angehende Hundetrainerin komplett aus der Bahn geworfen und im ersten Moment entrüstet zurückgelassen hat. Ich habe mich zunächst über ihre Worte förmlich aufgeregt, fühlte mich gekränkt und missverstanden.
Aber sie wusste, was sie tat, denn dieses Gespräch hat mich im Nachgang lange beschäftigt und in meinem Inneren fand ein über mehrere Wochen anhaltender Entwicklungsprozess statt, für den ich heute mehr als dankbar bin. Nach einer Phase der Selbstzweifel kam der Blick auf das bereits erreichte und der Weg nach vorn.

Dann hat es „klick“ gemacht

Mit einem Mal begriff ich, dass ich loslassen musste.
Ich lernte, meinem Hund zu vertrauen.
Ich lernte, auf die Signale meines Hundes zu achten.
Ich lernte, Grenzen und Regeln ruhig und konsequent durchzusetzen.
Ich lernte, mit Spaß in den Alltag und an das Training zu gehen.
Ich lernte meinen Ehrgeiz zu zügeln und auf das zu schauen, was gut gelaufen ist.
Ich legte die Verbissenheit ab und lernte jeden Moment mit meinem Hund zu genießen.
Ich lernte, die schlechten Dinge als Herausforderung zu sehen und nicht mit Angst zu meiden.
Ich lernte meine Körpersprache bewusst und verbale Signale gezielt einzusetzen.
Ich lernte auf meine Körpersprache zu achten und diese bewusst einzusetzen.
Ich lernte mehr Gelassenheit und vor allem Souveränität.

Seitdem bei mir ein Umdenken stattgefunden hat, ist unser Rüde mit der aktuell immer noch andauernden Adoleszenzphase ansprechbar, meist zuverlässig und für seine Situation gut sortiert im Kopf.
Natürlich gibt es auch die schlechten Tage und Momente, in denen man das Chaos im Kopf förmlich sehen kann und man das Gefühl hat, alles erlernte ist gelöscht.
Aber ich weiß, dass dies nicht der Fall ist, sondern einfach eine anstrengende Phase bevorsteht, die aber auch ein absehbares Ende hat.
Wenn man diese Phase versucht, gelassen und vor allem als Ruhepol und Anker mit seinem Hund zu überstehen, festigt das die Bindung ungemein und hilft dem Hund selbst im Alltag sicherer und souveräner zu werden.
Smudo und ich sind als Team zusammengewachsen; er vertraut mir und ich vertraue ihm. Wir arbeiten seitdem viel fokussierter, ruhiger und achtsamer. Und der Spaß und die Freude am Training gibt uns den Push und die unerwartet schönen Erfolge.

Es ist nie zu spät, umzudenken. Hunde leben nicht in der Vergangenheit oder Zukunft, sondern im Jetzt. Und darum ist jetzt immer der richtige Zeitpunkt, etwas zu ändern.
Und ich verspreche: Es wird sich alles ändern, für beide Seiten.

Deine Jennifer Holst